Von Daniele Antonucci, Chief Economist, Quintet Private Bank
Bereits in den 90er Jahren fürchteten sich die Anleger vor einem Anstieg der Anleiherenditen, für den Fall, dass der damalige US-Präsident seine Pläne für ein Konjunkturprogramm durchgesetzt hätte. James Carville, einer von Clintons engsten Beratern, scherzte damals, er wolle als Anleihenmarkt wiedergeboren werden – und nicht etwa als Präsident, Papst oder Baseballstar –, denn dann „kann man alle einschüchtern“.
Drei Jahrzehnte später sind die Anleger aufgrund der steigenden Anleiherendite erneut alarmiert. Seit Februar sind die Renditen für 10J-US-Staatsanleihen unmittelbar nach der Sitzung der US-Notenbank Mitte März von 1,1 3% auf etwa 1,70 % gestiegen und haben damit den höchsten Stand seit einem Jahr erreicht. Da höhere Anleiherenditen risikoreicheren Anlagen, wie Aktien, den Glanz nehmen und dem diskontierten Wert der Cashflows von Unternehmen einen Schlag versetzen können, ist es nachvollziehbar, dass die Anleger nervös werden.
Niemand ist besonders überrascht, dass sich die Renditen nach oben bewegt haben. Doch das geschah erheblich schneller als erwartet und nicht nur in den USA. Die zehnjährigen Renditen sind in mehreren entwickelten Ländern sogar noch stärker gestiegen als in den USA. Und nicht nur die Nominalrenditen sind gestiegen, sondern die Realrenditen ebenfalls. Obwohl das Renditeniveau weiterhin relativ niedrig ist, hat der schnelle Anstieg die Anleger dazu veranlasst, sich zu fragen, ob Aktien und andere Risikoanlagen davon in Mitleidenschaft gezogen werden könnten.
Es kommt jedoch auf den Kontext an. Heute steigen die Renditen in einer Zeit, in der die Inflation vorübergehend höher ist und sich das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen scheint, da die Impfbemühungen Fahrt aufnehmen und die Lockdown-Beschränkungen allmählich aufgehoben werden. Diese Dynamiken – steigende Renditen und schnelleres Wachstum – sind untrennbar miteinander verbunden.
Tatsächlich steigen sowohl die Realrenditen als auch die Inflationserwartungen an, wenn die Anleger, wie heute, eine kräftige, anhaltende wirtschaftliche Erholung erwarten. Eine starke Erholung erlaubt es Anlegern, die in Aktien, Unternehmensanleihen und andere zyklische Anlagen investieren, ein schnelleres zukünftiges Wachstum einzupreisen.
Vor allem dürfte jeder Inflationsanstieg nur vorübergehend sein, so dass die Zentralbanken keine Straffung der Geldpolitik planen. Sie könnten sogar den Ankauf von Vermögenswerten verstärken, falls sich die finanziellen Bedingungen ungerechtfertigterweise verschärfen. Die Zentralbanken sind eindeutig bestrebt, die Kosten für die staatliche Finanzierung von Fördermassnahmen im Rahmen zu halten, um fiskalische Anreize weiterhin erschwinglich zu machen.
Die Anleger sollten tief durchatmen und die steigenden Renditen im richtigen Kontext betrachten. Was wir heute sehen, ist in der Tat typisch für eine frühzyklische Erholung und insgesamt konstruktiv für Aktien – auch wenn es zu einer höheren Volatilität führen kann.
Insofern sehen wir das derzeitige Szenario als positiv für die Märkte an, zumal wir vorerst nicht erwarten, dass die Zentralbanken die Zinsen erhöhen. Wichtig ist, dass sich die Aufwärtsbewegung nur relativ begrenzt auf Aktien und Credit Spreads ausgewirkt hat, während der US-Dollar nicht wesentlich stärker geworden ist. Das bedeutet, dass die finanziellen Bedingungen trotz der steigenden Renditen noch immer locker – und nicht angespannt – sind.
Entscheidend ist, dass sich die Fed nach dem „Taper Tantrum“ im Jahr 2013 – als die Fed die baldige Drosselung ihrer quantitativen Lockerungspolitik angekündigte und die Renditen daraufhin stark anstiegen – verpflichtet hat, ihren politischen Kurs transparenter zu machen.
Wir erwarten nur eine allmähliche Abnahme der Anlagenkäufe der Fed ab nächstem Jahr. Und da der prognostizierte Inflationsanstieg vermutlich nur vorübergehend ist, sind Zinserhöhungen voraussichtlich erst in 2 bis 3 Jahren zu erwarten. Weltweit beginnen die Zentralbanken, sich gegen jede ungerechtfertigte Verschärfung der finanziellen Bedingungen zu stemmen. Die Europäische Zentralbank verstärkt ihr Anleihekaufprogramm und die Reserve Bank of Australia hat kürzlich den Ankauf von Anleihen wieder aufgenommen.
Bei unserer taktischen Asset-Allokation bleiben wir risikofreudig, und wir sind der Ansicht, dass das makroökonomische Umfeld zyklische Anlagen, die bei einer Wachstumsbeschleunigung überdurchschnittlich abschneiden werden, unterstützt. Wir denken, dass wir für die weitere Erholung und den Reflationshandel, wenn die Konjunktur wieder anzieht und die Volkswirtschaften wiedereröffnen, gut aufgestellt sind. Wir erwarten nach wie vor, dass die Realzinsen in den nächsten Quartalen im negativen Bereich bleiben und das wird sich stimulierend auswirken. Da die Front-End-Zinsen verankert bleiben, sollte die Zinskurve von jetzt an steiler ansteigen.
Die jüngste Kombination aus steigenden Aktien, Rohstoffen und Anleiherenditen könnte sich fortsetzen, wobei verschiedene Treiber dieser Erholung und des Reflationshandels in unterschiedlichen Phasen die Führung übernehmen. Parallel dazu könnte das Hin und Her zwischen Phasen des Zinsdrucks und Rallyes bei Risikoanlagen in den kommenden Monaten zu einem bleibenden Bestandteil der makroökonomischen Landschaft werden und möglicherweise gelegentlich eine Herausforderung beim Eingehen taktischer Risiken bleiben.
Der Inhalt dieses Beitrags gibt die Autorenmeinung am Erscheinungsdatum wieder und kann sich ändern. Ausserdem ist er allgemeiner Natur und stellt keine Rechts-, Finanz-, Steuer- oder Anlageberatung dar.